Mittwoch, 30. November 2016

Deutsche Viertklässler schneiden bei Vergleichsstudie mäßig ab

BERLIN. Nach einem Aufwärtstrend seit dem "Pisa-Schock" vor 15 Jahren ist das ein Dämpfer: Die Grundschüler der vierten Klasse rutschen im Ranking der breit angelegten TIMSS-Studie in Mathematik ab, in den Naturwissenschaften kommen sie auch nicht recht voran. Und alle Baustellen der deutschen Bildungspolitik bleiben: zu viele "Risikoschüler", zu wenige Überflieger, erhebliche Probleme für Migrantenkinder, ein besorgniserregender Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg. TIMSS ("Trends in International Mathematics and Science Study") ist international angelegt und gilt als sehr aussagekräftig. Gut 300 000 Grundschüler aus über 50 Staaten und Regionen ließen sich für "TIMSS 2015" testen, zudem gaben 250 000 Eltern, 20 000 Lehrer und 10 000 Schulleiter Auskünfte. In Deutschland nahmen rund 4000 Viertklässler an 200 Schulen teil. 


Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick: 

Deutsche Mathemuffel: Mit diesem Unterrichtsfach tun sich die Grundschüler schwer. Während osteuropäische Länder wie Ungarn oder Slowenien Fortschritte machten, rutschte Deutschland nun unter das Test-Level der EU und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Fast jeder vierte deutsche Viertklässler schaffte nicht einmal die dritte von fünf Kompetenzstufen. "Diese Kinder beherrschen gerade mal die Grundrechenarten", sagte der deutsche TIMSS-Chef Wilfried Bos. Nur gut jeder Zwanzigste erreichte Topniveau. 

Note drei in Physik und Chemie: In den Naturwissenschaften verharrten die TIMSS-Leistungen der deutschen Viertklässler auf dem Niveau der Vorgängerstudien - eine Stagnation im gehobenen Mittelmaß, haarscharf über den Werten von EU und OECD. Aber auch hier zogen Länder wie Slowenien oder Schweden innerhalb von acht Jahren vorbei. Zwar stieg die Quote der Spitzenschüler leicht an, sie war aber gegenüber Ländern wie Schweden oder Russland sehr niedrig. 

Soziale Schere: Die Verbindung von sozialem Hintergrund und Bildungschancen bleibt bestehen. Die TIMSS-Experten hatten nicht nur nach dem Berufs- oder Ausbildungsstand der Eltern gefragt, sondern auch nach der Anzahl von Büchern pro Haushalt. Das Ergebnis: ernüchternd. Schüler mit mehr als 100 Büchern daheim haben gut ein Lernjahr Leistungsvorsprung. In den meisten EU-Ländern sind die Nachteile von Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern geringer. Malus für Migrantenkinder: Dieser Befund tut weh: Obwohl sich Grundschüler, von denen ein oder zwei Elternteile im Ausland geboren wurden, im Test verbessern, haben sie in Deutschland weiterhin große Rückstände. Der Leistungsvorsprung von Kindern mit hierzulande geborenen Eltern betrug in Mathematik 31 Punkte - das entspricht fast dem Lernerfolg eines Schuljahres. In den Naturwissenschaften gab es sogar 47 Punkte Differenz. 

Mädchen holen auf: In Mathematik und Naturwissenschaften ging der Leistungsvorsprung von Jungen gegenüber Mädchen zurück. Das lag daran, dass sich die Jungen verschlechterten, während ihre Mitschülerinnen die Leistungswerte hielten oder leicht verbesserten. 

Glas halb voll: So sieht es zumindest die Kultusministerkonferenz (KMK) der für Schulbildung in Deutschland zuständigen 16 Länder. "Die Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland erreichen erneut ihr Kompetenzniveau von 2007, das im internationalen Vergleich im mittleren Bereich liegt. Dies gelingt trotz einer zunehmend heterogenen Schülerschaft." 

Glas halb leer: Wilfried Bos wird etwas bang, wenn er an den Übergang schwacher Grundschüler auf die weiterführende Schule denkt: "Mathematisches Lernen in der Sekundarstufe I wird dieser Schülergruppe erhebliche Schwierigkeiten bereiten." Falls das so weitergehe, "muss man in Deutschland Angst haben, abgehängt zu werden". Zu weniger Reformeifer gebe TIMSS keinen Anlass. Die KMK räumt ein: "Die Studie zeigt, dass wir sowohl am unteren als auch am oberen Ende des Leistungsspektrums ansetzen müssen." (dpa) 

WEITERE BILDUNGSTESTS IM ÜBERBLICK 
Pisa: Das"Programme for International Student Assessment" ist der weltweit größte Schulvergleichstest. Es wird alle drei Jahre von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) organisiert. Sie tut dies im Auftrag der Regierungen - oder in Deutschland für die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16 Länder. 
IQB-Bildungstrend: Diese Studie des Berliner Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurde zuletzt Ende Oktober vorgestellt. Sie liefert im KMK-AuftragDaten und Fakten zum Stand der Schulpolitik in den Ländern. Der "Bildungstrend", früher "IQB-Ländervergleich", ersetzte vor einigen Jahren die regionalen Pisa-Erweiterungsstudien (Pisa-E). 
Iglu-Studie: Dabei handelt es sich in Deutschland um die "Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung" , international lautet die Abkürzung PIRLS ("Progress in International Reading Literacy Study"). Vera: Diese länderspezifischen wie auch länderübergreifenden Tests mit Vergleichsarbeiten (Vera) sind Teil eines Maßnahmenbündels, mit denen Qualitätsentwicklung und -sicherung auf Ebene der einzelnen Schule gewährleistet werden soll. (dpa)

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