Mittwoch, 14. Januar 2015

Finnland will Schülern ab 2016 das Erlernen der Handschrift ersparen

HELSINKI. An solche Szenen aus der Schulzeit erinnern sich viele: Die Lehrerin malt in schönster Schnörkelschrift ein geschwungenes G oder L an die Tafel. Beim Nachmalen im eigenen Heft sehen die Buchstaben dagegen wie ein Gekrakel aus. Die Hausaufgabe: drei Reihen voller G's, vier Reihen L's. In Finnland bleiben Grundschülern diese Fingerübungen bald erspart. Ab dem Herbst 2016 müssen sie die Schreibschrift nicht mehr lernen - und sollen stattdessen dem flinken Tippen auf der Tastatur mehr Zeit widmen. 

"Vernünftig", finden die Finnen. In Deutschland schütteln Fachleute den Kopf über den "Irrweg" der früheren Pisa-Champions. "Das ist der Kniefall vor der fortschreitenden motorischen Verarmung unserer jungen Leute", sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus. In Finnland hatten sich Lehrer darüber beklagt, dass das Lernen der Schreibschrift im ersten und zweiten Schuljahr sehr viel Zeit raube - und für manche Schüler heute motorisch einfach zu kompliziert sei. Mit der Schreibschrift hätten besonders Jungen Probleme, sagt Irmeli Halinen, die für die Ausarbeitung des neuen Lehrplans verantwortlich ist. "Wir wollen mehr Wert auf IT-Fertigkeiten und die Fähigkeit, auf iPad und Computer zu schreiben, legen." 
Wer weiter Schreibschrift unterrichten will, darf das tun. In der Praxis wird das wohl immer seltener der Fall sein. Schreibschwache Schüler bereiten Schulpraktikern auch hierzulande Kopfzerbrechen. In einer Umfrage versucht der Lehrerverband gerade herauszufinden, wie ernst die Schwierigkeiten sind. Den Schülern das Lernen der Schreibschrift zu ersparen, sei "pädagogisch absolut falsch", meint Kraus: "Man müsste mit Maßnahmen zur Förderung der Feinmotorik darauf antworten." Während der Streit in Deutschland die Gemüter seit langem erhitzt, war der pragmatische Schritt in Finnland kaum umstritten, sagt Halinen: "Es gab ein paar wenige Diskussionen, aber wir finden, dass Kultur nicht mit einer bestimmten Art Handschrift verknüpft ist. Es ist wichtiger, dass die Kinder überhaupt Lesen und Schreiben lernen." Finnische Kinder würden aber "auch weiterhin lernen, mit einem Stift zu schreiben". Dafür reichten aber in Zukunft Druckbuchstaben statt Schnörkelschrift. 
Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung sieht das völlig anders: "Die Schreibschrift ist ein komplexerer Vorgang, als Buchstaben per Druckschrift aneinanderzureihen" - oder sie gar zu tippen. Das sei auch unromantisch, findet Kraus. "Ein Liebesbrief ist von Hand geschrieben doch emotional etwas ganz Anderes als eine SMS oder eine auf der Tastatur getippte Nachricht." Die elektronische Mitteilung dürfte handgekritzelte Liebesbriefe allerdings ohnehin schon aus den Klassenzimmern verdrängt haben. (dpa)

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