Die Kultusministerin von Schleswig-Holstein, Waltraud Wende, möchte Schulnoten in allen
Schulen abschaffen. Als erster Schritt werden Noten in der Grundschule abgeschafft. Zur
Begründung schreibt Frau Wende in einem Artikel für die ZEIT,
dass Noten unfair sind.
Zitat: "Unterschiedliche Lehrkräfte bewerten dieselbe Leistung nicht zwingend mit derselben
Note. Allzu oft sind Noten Glückssache!"
Das stimmt. In Wahrheit ist es allzu oft sogar noch
schlimmer. Ich habe jahrelang in Mathematik durch Abschreiben sowie den Einsatz von
Spickzetteln eine Note gehabt, die mit meinen tatsächlichen Kenntnissen nicht das Geringste zu
tun hatte. Ich kann zählen. Ich kann Zahlen schreiben. Mit den Grundrechenarten kenne ich mich
immerhin halbwegs aus. Alles andere habe ich nie begriffen. Trotzdem hatte ich in
komplizierten Algebra-Arbeiten Noten bis hinauf zu einer Zwei minus. Allzu oft sind Noten
geschummelt.
Frau Wende möchte, dass Leistung objektiv gemessen wird und dass es keine Glückssachen mehr
gibt. Alles soll total gerecht sein. Es ist eine Titanenarbeit, die sie sich da vorgenommen
hat. Allein schon die Tatsache, dass der eine Mensch 1,75 Meter groß ist, ich zum Beispiel,
der andere aber zwei Meter, stellt eine Ungerechtigkeit dar, wenn sie beide vor einem
Bücherregal stehen und an das oberste Brett herankommen möchten. Wenn aber alle Glückssachen
konsequent abgeschafft werden, könnte es passieren, dass Waltraud Wende selbst ein Opfer ihrer
Politik wird. Es gibt garantiert Hunderte von Menschen, die in der Lage wären, den Job einer
Kultusministerin von Schleswig-Holstein passabel auszufüllen. Dass ausgerechnet sie es
geworden ist, war Glückssache. Dass ich hier Kolumnen schreiben darf, ist ebenfalls
Glückssache. Jeder, der jemals irgendwo irgendwas geworden ist, hat dies zum Teil glücklichen
Umständen zu verdanken. Ich glaube, wir alle werden das Glück vermissen, wenn es tatsächlich
verboten wird.
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Statt Noten soll es in Zukunft "Kompetenzbeschreibungen" geben. Die Lehrer sollen ausführlich
Kompetenzen und Defizite jedes Schülers beschreiben. Statt eines Zeugnisses wird jedem Schüler
ein Essayband über sämtliche Facetten seiner Persönlichkeit ausgehändigt. Wenn eine Lehrerin
eine Schülerin nicht mag, kann sie natürlich Folgendes machen: Sie gibt der Nervensäge keine
schlechte Note, sondern beschreibt deren Verhalten in ihrem Essay in den düstersten Farben.
Waltraud Wende will auch dieser Ungerechtigkeit einen Riegel vorschieben. Im Fach Deutsch zum
Beispiel soll auch "Zuhören" bewertet werden. Ein Schüler, der weder lesen noch schreiben
kann, immer Kaugummi kaut und niemals ein Wort sagt, findet in seinem Abiturzeugnis dann den
Satz: "Ben kann gut zuhören und versteht auch manches."
Offenbar werden, um seelische Verwundungen zu vermeiden, Schulzeugnisse den Arbeitszeugnissen
angeglichen. Wenn ein Schüler die Mitschüler verprügelt, muss der Lehrer schreiben: "Tobias
verfügt über gesundes Selbstvertrauen." Trinkt eine Schülerin auf dem Schulhof Bommerlunder,
heißt es: "Durch ihre Geselligkeit trägt Anna zur Verbesserung des Schulklimas bei." In meinem
Zeugnis hätte, in Bezug auf Mathe, gestanden: "Harald verstand es, alle Prüfungsaufgaben mit
Erfolg zu delegieren." Wird der Schüler aber, weil er mithilfe gefälschter Krankmeldungen
geschwänzt hat, der Schule verwiesen, so heißt in Zukunft die faire Formulierung: "Lukas
scheidet aus, um in einer anderen Lehranstalt eine höherwertige Tätigkeit zu übernehmen. Wir
wünschen ihm vor allem Gesundheit."
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