Freitag, 14. März 2014

Eltern rüsten zum Kampf gegen G8

BERLIN. Ungeliebtes Turbo-Abi: Wo Eltern frei wählen können, geben sie dem klassischen Abitur nach 13 Schuljahren den Vorzug. Initiativen aus nahezu allen Bundesländern formierten sich gestern bei einem ersten Treffen in Berlin, um gegen das ungeliebte Turbo-Abi nach nur acht Gymnasialjahren (G8) Front zu machen. Sie wollen keinen Lernstress mehr für ihre Kinder im Gymnasium, keinen "aufgepfropften" Nachmittagsunterricht. Ihre Kinder sollen wieder Zeit für Spiel, Sport und Kultur haben. 
"Wir wollen nicht bloß zurück zum alten Abitur nach 13 Schuljahren, wir wollen vorwärts zu G9 - einem modernen neunjährigen Gymnasium, in dem auch wieder Zeit für Persönlichkeitsbildung und Werteerziehung bleibt", sagt die hessische Schulleiterin Karin Hechler. Es sind selbstbewusste, redegewandte Eltern, die sich bundesweit in den Initiativen engagieren. Darunter sind viele Anwälte, Psychologen, Mediziner, Lehrer - halt das klassische deutsche Bildungsbürgertum. Ihre Hoffnungen sind aktuell auf Niedersachsen gerichtet. Dort werden in der kommenden Woche Empfehlungen einer von der rot-grünen Landesregierung eingesetzten Reformkommission zum Abitur erwartet. Als erstes Bundesland könnte Niedersachsen das Abitur nach neun Gymnasialjahren wieder zur Regel erklären - mit Ausnahmen nur für besonders gute Schüler. Und geht es nach den Initiativen, dann sollten viele andere Bundesländer bald folgen. Ende 2001 hatte die erste Pisa-Studie die deutsche Öffentlichkeit mit der Botschaft alarmiert, dass 15-Jährige hierzulande mit ihrem Wissen im weltweiten Vergleich allenfalls nur Mittelmaß sind. Der Schock war noch nicht verhallt, da verabredeten die Ministerpräsidenten, bundesweit die Schulzeit bis zum Abitur auch im Westen auf zwölf Jahre zu verkürzen - wie das vor der deutschen Einheit in der DDR üblich war. Doch statt die Lehrpläne gründlich zu überprüfen und das Unterrichtsvolumen zu reduzieren, wurde die laut einer Vereinbarung der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgegebene Pflichtzahl von 265 Lehrplanstunden bis zur Reifeprüfung von neun auf acht Schuljahre umgelegt. Statt knapp 30 Unterrichtsstunden pro Woche gibt es seitdem im Schnitt über 33 Stunden. Unterricht am Nachmittag und zum Teil Sieben- bis Acht-Stunden-Tage sind die Folge. Es sind nicht nur die vielen Meinungsumfragen, in denen Eltern immer wieder das Turbo-Abi ablehnen und eine Rückkehr zum klassischen Abitur nach 13 Schuljahren fordern. Die erst versuchsweise in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wieder eingerichteten G9-Gymnasien laufen über. In NRW auch die Gesamtschulen, die G9 anbieten. In Berlin bleiben Plätze an Gymnasien mit Turbo-Abi frei, an den früher viel weniger gefragten Gemeinschaftsschulen (mit Abi nach 13 Jahren) müssen zum Teil die freien Plätze wegen zu großer Nachfrage verlost werden. Die Bonner Psychologin Anja Nostadt will bei G8-Schülern eine auffällige Zunahme von Erkrankungen wie Einschlafstörungen, Migräne und Magersucht festgestellt haben. Zudem lasse G8 bei den kommerziellen Nachhilfeinstituten die Kassen klingen, kritisiert Nostadt.

Quelle: Kölnische Rundschau vom 14.03.2014

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