BERLIN. Erwachsene in Deutschland können im internationalen
Vergleich nur mittelmäßig lesen und Texte verstehen. Gleiches gilt für
die Grundrechenarten wie Prozentrechnen und Dreisatz.
Fast auf den Tag genau vor 40 Jahren erschien ein
kleines Büchlein. Titel: "Wirtschaftsriese - Bildungszwerg". Es war die
kritische Analyse eines damaligen OECD-Bildungsreports über Deutschland.
1973 scheiterte im föderalen Wirrwarr der Bundesrepublik der Versuch,
einen gemeinsamen Bund-Länder-Plan für den Ausbau des deutschen
Bildungssystems zu entwickeln.
Auch heute gilt die deutsche Wirtschaftskraft
weltweit als vorbildlich. Politik, Wirtschaft und auch die
Gewerkschaften preisen das duale System der Berufsausbildung mit seinem
Zusammenspiel von Betrieb und staatlicher Berufsschule als
beispielgebend. Einige sehen es gar als "deutschen Exportschlager", den
sie auch in Spanien oder Italien etablieren möchten.
Doch mit der Allgemeinbildung und den
Basiskompetenzen der Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren ist es in
Deutschland gar nicht so gut bestellt - wie mancher Politiker gestern
nach Veröffentlichung des ersten Pisa-Tests für Erwachsene glauben
machen wollte. Es sind eben nicht nur die 17,5 Prozent der Erwachsenen,
die nur auf dem Niveau Zehnjähriger lesen und Texte verstehen können.
Zwar zieht eine solch große Problemgruppe den
deutschen Leistungsschnitt im weltweiten Vergleich kräftig nach unten.
Aber ebenso fehlt es in dem ehemaligen "Land der Dichter und Denker"
heute an Spitzenlesern in den oberen Leistungsgruppen.
Und in Sachen "alltagsmathematische Kompetenz" kommen
die Bundesbürger aus dem Heimatland von Rechenkünstler Adam Riese mit
ihren Gesamtleistungen auch nur knapp ins internationale Mittelfeld.
18,5 Prozent der Testpersonen in Deutschland schaffen laut OECD-Bericht
häufig nicht mehr als nur einfaches Zählen und Sortieren. Schwacher
deutscher Trost: Im Schnitt der anderen Industrienationen sind dies auch
nur 19 Prozent.
Anfang der 1970er Jahre waren die Kultusminister der
damals noch elf Bundesländer die ständige internationale Kritik am
deutschen Bildungssystem leid und klinkten sich bei den OECD-Studien wie
auch anderen weltweiten Untersuchungen einfach aus. Erst seit Ende der
1990er Jahre stellt sich die deutsche Bildung wieder den internationalen
Vergleichen. Die erste Pisa-Schulstudie, die 2001 von der OECD
veröffentlicht wurde, löste in Deutschland wegen der offenkundig
gewordenen Leistungsschwächen der 15-Jährigen bekanntlich einen Schock
aus. Zahlreiche Schulreformen waren die Folge. Nur langsam geht es
aufwärts - aber immerhin.
Es ist vor allem der harte Kern der
Leistungsschwächsten, der den Bildungspolitikern große Sorge macht. Zwar
ist die Zahl der Schulabbrecher zurückgegangen - mit knapp 60 000
jungen Menschen pro Jahr aber immerhin noch ein beträchtlicher Teil. 2,2
Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 35 Jahren haben keinen
Berufsabschluss und sind auch nicht mehr in Fort- oder Weiterbildung.
Arbeitsstaatssekretär Gerd Hoofe verwies bei der
Präsentation der OECD-Studie darauf, dass jeder zweite Arbeitslose
keinen Berufsabschluss hat. Das aktuelle Programm der Bundesagentur, mit
dem jetzt 100 000 junge Menschen nachqualifiziert werden sollen,
erscheint angesichts der großen Zahl von Ungelernten eher wie ein
Tropfen auf den heißen Stein.
Doch wie will man diese Problemfälle erreichen? Lesen
und Textverständnis gelten in der Pädagogik als die wichtigste
Schlüsselqualifikationen für das Lernen überhaupt - nicht nur für die
Erstausbildung, sondern auch für die spätere Weiterbildung. Bei den
15-Jährigen ist diese harte Problemgruppe zwischen dem ersten Pisa-Test
(Veröffentlichung 2001) und dem jüngsten (2009) von knapp 25 auf knapp
20 Prozent zurückgegangen. Der nächste Pisa-Schultest wird am 3.
Dezember vorgelegt.
Eindringlich plädieren die Pisa-Forscher dafür, die
Weiterbildung für die Problemgruppen der jugendlichen wie erwachsenen
Schwachleser zu öffnen. Denn Weiterbildungsangebote werden in
Deutschland wie auch anderswo vornehmlich von den Gruppen genutzt, die
ohnehin schon eine gute oder gar beste Vorbildung besitzen. Häufig
erfahren Schwachleser gar nicht von den Möglichkeiten, die
Volkshochschulen oder andere Institutionen anbieten. Die Zahl der
"funktionalen Analphabeten" wird in Deutschland auf 7,5 Millionen
geschätzt. Der alte Grundsatz "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans
nimmermehr" soll nach diesen Forderungen endlich durchbrochen werden.Was Erwachsene beim Bildungstest wissen müssen
Der komplette Fragenkatalog soll zum Selbsttest ab Frühjahr 2014 im Internet verfügbar sein
Für das Leben gerüstet? OECD-Bildungsforscher haben
einen riesigen Aufgabenpool entwickelt, um die Grundkompetenzen von 16-
bis 65-Jährigen in 24 Industrienationen der Welt zu testen. Für die
Kerndisziplinen "Lesen und Textverständnis", "alltagsmathematische
Grundkenntnisse" und "Problemlösen mit Hilfe des Computers" gibt es
Aufgaben in verschiedenen Niveaustufen. Der komplette Pool wird zum
Selbsttest erst ab Frühjahr 2014 im Internet verfügbar sein. Dann kann
man auch anhand seiner erreichten Punktzahl ablesen, welchen
Durchschnittslohn man mit seinen Kenntnissen in einem anderen OECD-Land
erzielen würde. Beispielaufgaben:
Lesen/Textverständnis: Gezeigt wird auf dem
Computer die Hausordnung eines Kindergartens. Regel Nummer eins lautet,
dass die Kinder bis 10 Uhr zu bringen sind. Dann folgen acht weitere
Vorschriften. Zum Schluss wird gefragt: Bis wann sind die Kinder morgens
zu bringen? Ein Zurückklicken auf die erste Regel ist möglich.
Niveau: mittel bis leicht.
Mathematik: Ein Thermometer zeigt die
Temperatur sowohl in Grad Celsius als auch in Fahrenheit an. Der
Betrachter wird zunächst gefragt, wie viel Grad in Fahrenheit auf dem
Thermometer abzulesen sind.
Niveau: Mittel.
Anschließend folgt die Frage: "Wenn die angezeigte
Temperatur um 30 Grad Celsius sinkt, was ist dann die Temperatur in Grad
Celsius?"
Niveau: mittel.
Oder: "Im Jahr 2005 legte die schwedische Regierung
den letzten Atomreaktor (...) still. Der Reaktor erzeugte pro Jahr eine
durchschnittliche Energiemenge von 3572 GWh elektrischer Energie. In
Schweden werden weiterhin Windparks mit Windkraftanlagen im Meer
errichtet. Jede Windkraftanlage erzeugt rund 6000 MWh elektrische
Energie pro Jahr. Wie viele Windkraftanlagen werden gebraucht, um den
vom Atomreaktor erzeugten Strom zu ersetzen?" Zur Hilfe wurden der
Aufgabe Umrechnungsdaten angefügt.
Niveau: schwierig. (Richtige Antwort: 595, 596 oder 600 - gerundet)
Computer/Internet: Neben einfachen
Grundkenntnissen wie dem Einordnen von E-Mails in verschiedene
Postfächer oder der Benutzung von Hilfsmitteln (Maus) wurde das
Navigieren über Webseiten und eigenständiges Problemlösen und
Recherchieren getestet.
Beispiel: "Sie suchen einen Job und haben dazu fünf
Internetseiten gefunden. Sie möchten eine Seite nutzen, bei der Sie sich
nicht anmelden und auch keine Gebühren zahlen müssen. Speichern Sie
alle Seiten als Lesezeichen, die ihre Anforderungen erfüllen."
Niveau: schwierig.
Quelle: Kölnische Rundschau vom 09.10.2013
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