Montag, 29. Juli 2013

Lehrer fordern "Mut zur Lücke" im Schulunterricht

DÜSSELDORF. Schulen müssen aus Sicht von NRW-Lehrerverbänden besser aufs "wirkliche Leben" vorbereiten. "Lehrpläne sind zu stark auf die reine Wissensvermittlung ausgerichtet", sagte der Landeschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, unserer Zeitung. Auch der Philologenverband forderte "mehr Mut zur Lücke bei Lehrplänen", damit Schulen die "Lebensbefähigung" der Schüler stärker in den Blick nehmen könnten.
Eine Studie der Universität Bielefeld hatte ergeben, dass fast 30 Prozent aller Kinder nach der Grundschule gar nicht oder nicht richtig schwimmen können. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangte nach mehreren Todesfällen eine Verpflichtung, dass Kinder spätestens mit Ende des zweiten Schuljahres Schwimmen gelernt haben. Krankenkassen beklagen zudem die Zunahme übergewichtiger Kinder und fordern mehr Sportunterricht und Gesundheitsberatung. VBE-Chef Beckmann sieht auch eine Berechtigung für Lerninhalte wie Verbrauchererziehung bei Handy- und Knebelverträgen - warnte aber vor übervollen Lehrplänen. Der NRW-Vorsitzende des Philologenverbandes, Peter Silbernagel, verlangte "mehr Mut zur Entschlackung der Lehrpläne". Bei der Verkürzung der Zeit bis zum Abitur von neun auf acht Jahre (G8) habe das gefehlt. Einzelne Fächer glichen in den letzten drei Schuljahren oft Oberseminaren an Hochschulen. Andererseits erlebten manche Schüler erstmals bei der Klassenfahrt, "wie man gesittet am Tisch sitzt". Eine weitere Forderung von Bildungsexperten ist die Abschaffung von Hausaufgaben. Jutta Allmendigner, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, schlug statt dessen Gruppenarbeit zur Nachbearbeitung des Lernstoffs vor.

Kommentar:
Viele Schüler haben schon mehr "Mut zur Lücke" als es für ihre Zukunft bzw. die unserer Gesellschaft verträglich ist. Doch anstatt mangelnde Leistungsfähigkeit und -bereitschaft als Problem zu identifizieren und anzugehen, wird an Schulformen, dem Schulsystem, Unterrichtsgestaltung, Hausaufgaben, Benotung usw. rumkritisiert, bevorzugt von Leuten, die mit dem täglichen Bildungsgeschäft nichts zu tun haben. 
"Wofür lernt man in der Schule eigentlich?", müsste die zentrale Frage lauten. Und die Antwort ist ganz einfach: um ausbildungs- bzw. studierfähig zu werden. Und hier bemängelten z.B. 2010 in einer Umfrage über 75% der 911 befragten Unternehmen, dass Schulabsolventen jeweils Defizite in Rechtschreibung, Prozentrechnung, mündlicher und schriftlicher Ausdrucksfähigkeit, Lern- und Leistungsbereitschaft usw. aufweisen. Rechtschreibung aber z.B. spielt sowohl als Unterrichtsinhalt als auch bei der Entstehung der Deutschnote nur eine untergeordnete Rolle, die mit zunehmendem Alter immer geringer wird. So hat in der NRW-weiten zentralen Abschlussprüfung Deutsch der Klasse 10 die Rechtschreibung nur einen Anteil von ca. 10% an der Gesamtnote.
Was im "richtigen Leben" also als wichtig erachtet wird, führt in der Schule ein Schattendasein, und stattdessen packt man alles in die Schule, was das Elternhaus nicht leisten kann oder will: Tischmanieren, gesunde Lebensführung, Sozialverhalten usw.
Anstatt "Mut zur Lücke" wäre also eher "Mut zur Ehrlichkeit" angebracht, denn offenbar scheint sich "Eltern sein" zu einer so komplexen Tätigkeit entwickelt zu haben, dass hier eine "Beschulung" dringend notwendig wäre, anstatt die Eltern aus der Verantwortung zu entlassen. Da macht die Politik ihre Hausaufgaben nicht - kein gutes Vorbild für die Schüler.

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