Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram
Schneider (SPD) beklagt, dass "auf Förderschulen alles geschoben werde,
was man vermeintlich im normalen Schulsystem nicht gebrauchen kann".
Sollen die Damen und Herren Minister doch bitte einmal versuchen, eine
Klasse mit 30 Schülerinnen und Schülern auf einer Gesamtschule zu
unterrichten, und darunter befinden sich ein Kind mit diagnostiziertem
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) und ein Kind mit
sozial-emotionaler Entwicklungsstörung.
Kein Kind darf verloren gehen - so heißt es doch
immer. Und jedes Kind dieser Klasse soll man bitte individuell fördern.
Das ist einfach unmöglich. Es ist schon so unmöglich, 30 Schülerinnen
und Schüler individuell zu fördern, da Gesamtschulklassen Kinder aller
Schulformen beinhalten und daher eine sehr große Leistungsheterogenität
aufweisen. Aber dann jedem Kind gerecht zu werden, wenn zwei Kinder 80
Prozent der Aufmerksamkeit fordern?
Also ist es erstens für Lehrerinnen und Lehrer nahezu
unmöglich, eine individuelle Förderung bei der derzeitigen Klassengröße
(bei jeder neuen Gesamtschule wird die Klassengröße auf 30 festgelegt)
zu leisten. Sie reiben sich dabei völlig auf. Es ist verantwortungslos
von allen Politikerinnen und Politikern, daran nichts zu ändern. Die
Lerngruppengröße ist die wichtigste Stellschraube überhaupt, und der
demografische Wandel lädt ja gerade dazu ein, die Klassen zu
verkleinern.
Aber nein, daran wird nicht gerüttelt, das würde ja
wirklich Geld kosten. Durch die zu großen Lerngruppen gehen wirklich
Kinder verloren! Hier wird die Zukunft der nächsten Generation kaputt
gespart. Zweitens spricht niemand von der Problematik der Kinder mit
sozial- emotionalen Entwicklungsstörungen, die bisher auf Förderschulen
oder Hauptschulen gingen. Die Kinder mit einer körperlichen oder
geistigen Behinderung sind nicht das Problem bei einem inklusiven
Unterricht, sondern Kinder mit einer sozial-emotionalen
Entwicklungsstörung.
In einer Förderschule mit dem Schwerpunkt "sozial
emotionale Entwicklungsstörung" lernen elf solcher Kinder in einer
Lerngruppe mit einer ausgebildeten Förderschullehrkraft. Nun sollen alle
Förderschulkinder ab 2014 auf die Klassen verteilt werden und die
Klassengröße bei 30 Kindern bleiben. Eine Förderschullehrkraft wird dann
dem Jahrgang zugeteilt. Das geht so gar nicht! Wenn es keine kleineren
Lerngruppen und keine permanente Unterstützung durch Sonderpädagogen
gibt, werden die Inklusion und auch die Förderung aller anderen Kinder
scheitern!
Dr. Inge Bischoff
Wir können froh sein, dass der Sachverstand der
betroffenen Eltern und Lehrkräfte die Landesregierung zur Vernunft
gebracht hat. Das nun aufgeschobene Konzept las sich wie eine reine
Sparmaßnahme und keineswegs wie eine Verbesserung der Lernbedingungen
aller Schülerinnen und Schüler. Auch die Nicht-Behinderten haben ein
Recht auf angemessene Lernbedingungen. Ohne Sonderpädagogen in den
Inklusionsklassen wäre eine deutliche Verschlechterung der
Lernbedingungen auch der anderen Schüler zu erwarten. Eine Lehrkraft hat
eben nur begrenzte Aufmerksamkeit und Nerven. Das wollte die
Landesregierung einfach ignorieren und mit Gerede von "Fortbildungen"
überdecken. Zu deutlich war die Absicht, die teuren Sonder- und
Förderschulen abzubauen, um einfach Geld zu sparen. Hier sind viele
Eltern und Lehrkräfte noch rechtzeitig aufgewacht und haben protestiert.
Die Umsetzung von UN-Resolutionen ist sonst ja eher
Nebensache. Bei der Ungleichbehandlung in den Schulen - Angestellte tun
das Gleiche, bekommen aber 500 bis 1000 Euro netto pro Monat weniger -
könnte die nordrein-westfälische Landesregierung ihren Respekt davor
bezeugen.
Fazit: UN-Resolutionen oder UN-Recht wird nur
erwähnt, wenn es zum Sparen passt. Das Schulsystem muss insgesamt besser
ausgestattet werden. Eine Verschiebung von nicht schulfähigen Kindern
in Regelschulen ohne massive Investitionen in Personal, Material und
Gebäude wäre katastrophal.
Guido Bley, Dipl.-Phys. und Berufsschullehrer
Quelle: Kölner Rundschau vom 05.01.2012
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