Samstag, 5. Januar 2013

Leserbriefe zum Thema "Inklusion"

Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) beklagt, dass "auf Förderschulen alles geschoben werde, was man vermeintlich im normalen Schulsystem nicht gebrauchen kann". Sollen die Damen und Herren Minister doch bitte einmal versuchen, eine Klasse mit 30 Schülerinnen und Schülern auf einer Gesamtschule zu unterrichten, und darunter befinden sich ein Kind mit diagnostiziertem ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) und ein Kind mit sozial-emotionaler Entwicklungsstörung.
Kein Kind darf verloren gehen - so heißt es doch immer. Und jedes Kind dieser Klasse soll man bitte individuell fördern. Das ist einfach unmöglich. Es ist schon so unmöglich, 30 Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern, da Gesamtschulklassen Kinder aller Schulformen beinhalten und daher eine sehr große Leistungsheterogenität aufweisen. Aber dann jedem Kind gerecht zu werden, wenn zwei Kinder 80 Prozent der Aufmerksamkeit fordern?
Also ist es erstens für Lehrerinnen und Lehrer nahezu unmöglich, eine individuelle Förderung bei der derzeitigen Klassengröße (bei jeder neuen Gesamtschule wird die Klassengröße auf 30 festgelegt) zu leisten. Sie reiben sich dabei völlig auf. Es ist verantwortungslos von allen Politikerinnen und Politikern, daran nichts zu ändern. Die Lerngruppengröße ist die wichtigste Stellschraube überhaupt, und der demografische Wandel lädt ja gerade dazu ein, die Klassen zu verkleinern.
Aber nein, daran wird nicht gerüttelt, das würde ja wirklich Geld kosten. Durch die zu großen Lerngruppen gehen wirklich Kinder verloren! Hier wird die Zukunft der nächsten Generation kaputt gespart. Zweitens spricht niemand von der Problematik der Kinder mit sozial- emotionalen Entwicklungsstörungen, die bisher auf Förderschulen oder Hauptschulen gingen. Die Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung sind nicht das Problem bei einem inklusiven Unterricht, sondern Kinder mit einer sozial-emotionalen Entwicklungsstörung.
In einer Förderschule mit dem Schwerpunkt "sozial emotionale Entwicklungsstörung" lernen elf solcher Kinder in einer Lerngruppe mit einer ausgebildeten Förderschullehrkraft. Nun sollen alle Förderschulkinder ab 2014 auf die Klassen verteilt werden und die Klassengröße bei 30 Kindern bleiben. Eine Förderschullehrkraft wird dann dem Jahrgang zugeteilt. Das geht so gar nicht! Wenn es keine kleineren Lerngruppen und keine permanente Unterstützung durch Sonderpädagogen gibt, werden die Inklusion und auch die Förderung aller anderen Kinder scheitern!
Dr. Inge Bischoff

Wir können froh sein, dass der Sachverstand der betroffenen Eltern und Lehrkräfte die Landesregierung zur Vernunft gebracht hat. Das nun aufgeschobene Konzept las sich wie eine reine Sparmaßnahme und keineswegs wie eine Verbesserung der Lernbedingungen aller Schülerinnen und Schüler. Auch die Nicht-Behinderten haben ein Recht auf angemessene Lernbedingungen. Ohne Sonderpädagogen in den Inklusionsklassen wäre eine deutliche Verschlechterung der Lernbedingungen auch der anderen Schüler zu erwarten. Eine Lehrkraft hat eben nur begrenzte Aufmerksamkeit und Nerven. Das wollte die Landesregierung einfach ignorieren und mit Gerede von "Fortbildungen" überdecken. Zu deutlich war die Absicht, die teuren Sonder- und Förderschulen abzubauen, um einfach Geld zu sparen. Hier sind viele Eltern und Lehrkräfte noch rechtzeitig aufgewacht und haben protestiert.
Die Umsetzung von UN-Resolutionen ist sonst ja eher Nebensache. Bei der Ungleichbehandlung in den Schulen - Angestellte tun das Gleiche, bekommen aber 500 bis 1000 Euro netto pro Monat weniger - könnte die nordrein-westfälische Landesregierung ihren Respekt davor bezeugen.
Fazit: UN-Resolutionen oder UN-Recht wird nur erwähnt, wenn es zum Sparen passt. Das Schulsystem muss insgesamt besser ausgestattet werden. Eine Verschiebung von nicht schulfähigen Kindern in Regelschulen ohne massive Investitionen in Personal, Material und Gebäude wäre katastrophal.
Guido Bley, Dipl.-Phys. und Berufsschullehrer

Quelle: Kölner Rundschau vom 05.01.2012

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