Die
Ziele der Bologna-Reform sind aus Sicht der Studierendenschaft klar
verfehlt. "Bologna - das klingt nach Pasta, ist aber Käse" sagt Erik
Marquardt, Vorstandsmitglied des fzs (freier zusammenschluss von
studentInnenschaften), dem Dachverband der Studierendenschaften. Der
24-jährige Chemmiestudent an der TU Berlin begrüßt die kritischen
Anmerkungen dieser Tage ausdrücklich.
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst
Hippler, hatte kritisiert, die Einführung von Bachelor- und
Masterstudiengängen habe zu großen Einschränkungen in der akademischen
Bildung geführt. Hippler verlangte, der Verschulung müsse Einhalt
geboten werden, etwa bei der Anwesenheitspflicht. Darüber hinaus sei ein
Bachelorabschluss nicht unbedingt in jedem Fach wirklich sinnvoll - zum
Beispiel in Chemie und Physik.
Das kann Marquardt nur unterschreiben: "Ich weiß
nicht, welchen Beruf ich mit einem Bachelorabschluss in Chemie ergreifen
könnte. 90 Prozent meiner Kommilitonen streben eine Promotion an." Dass
das System gescheitert sei, zeigten die Abbruchzahlen, so der
fzs-Vorstand. Dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) die
Hochschulreform auch noch als Erfolg verkaufe, grenze an Halluzination.
"Ich verstehe nicht, welches Zahlenmaterial Frau Schavan ihrer Bilanz
zugrunde legt, aber ich empfehle ihr, sich den Bildungsbericht 2012 des
Hochschul Informations Systems anzuschauen, der von ihrem Ministerium
maßgeblich finanziert wurde." Tatsächlich heißt es im aktuellen Bericht
von Ende Juni: "Die Studienabbruchquote von 35 Prozent in
Bachelorstudiengängen an Universitäten und der anhaltend hohe
Studienabbruch in den Ingenieur- und Naturwissenschaften zeigen wichtige
Problemfelder auf."
Die zunehmende Verschulung, Folge des Modulsystems,
verhindere die Entwicklung von Persönlichkeiten, sagt Hippler. "Stimmt",
meint Eva Nelles, stellvertretende Vorsitzende des Allgemeinen
Studierenden-Ausschusses (AStA) des Uni Bonn. "Man ist so eingebunden,
seine Leistungen zu erbringen, dass für andere Dinge, etwa
ehrenamtliches Engagement oder einen Auslandsaufenthalt, kaum Luft
bleibt."
Studierende müssen heute ihren Modulplan erfüllen und
Leistungspunkte sammeln. Sechs Semester Zeit hat man etwa in den
Politischen Wissenschaften, um 180 Punkte zu erreichen. Die sind nötig,
um den Bachelor abzuschließen. Für eine Einführungsvorlesung mit Übung,
die mit Klausur abgeschlossen wird und ein Proseminar, in dem man eine
Hausarbeit schreiben muss, gibt es zwölf Punkte. "Das Problem bei einem
Auslandssemester ist, dass man an anderen Unis beispielsweise weniger
Punkte für dieselbe Leistung bekommt oder diese von der eigenen Uni
nicht anerkannt werden", so die 21-jährige Politologiestudentin. Dennoch
will Eva Nelles sich nicht davon abbringen lassen, ein Jahr ins Ausland
zu gehen: "Das bringt mich auf jeden Fall in meiner
Persönlichkeitsentwicklung weiter."
Das sei sicherlich von Fach zu Fach unterschiedlich,
so Fabian Rump (23), der gerade an der Uni Bonn seinen Bachelorabschluss
in Informatik macht. "In der Regel ist es ja so: Kaum bist du an der
Uni angekommen, da musst du auch schon an den Abschluss denken. Da
bleibt für ein Auslandssemester keine Zeit." Zumal die Module so
aufeinander aufgebaut seien, dass man achtgeben müsse, keine Zeit zu
verlieren.
Die Wirtschaft in der Region ist mit den
Bachelor-Absolventen dagegen überwiegend zufrieden. Jürgen Hindenberg,
Personal- und Bildungsexperte bei der Industrie- und Handelskammer (IHK)
Bonn/Rhein-Sieg, schränkt allerdings ein: "Es ist von Vorteil, wenn man
weiß, von welcher Hochschule er kommt." Für viele Firmen seien die
vielen unterschiedlichen Studiengänge ein Problem. Unternehmen würden
daher verstärkt die Zusammenarbeit mit Hochschulen suchen. Während der
Bachelor in typischen Abiturientenberufen wie Industriekaufmann
zunehmend Absolventen der Dualen Ausbildung verdränge, genüge der
Industrie der Bachelorabschluss in den Ingenieurberufen meist nicht.
Hindenberg: "Wir stellen fest, dass hier der Master immer mehr zur
Voraussetzung für einen Berufseinstieg wird."
Hart ins Gericht mit dem Bachelorstudiengang geht der
Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider. "Ich sehe da einen Widerspruch
zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und dem Studium", sagte
der Experte des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA).
"Unternehmen brauchen heute vor allem Mitarbeiter,
die zielgerichtet mit Wissen umgehen können und Verantwortung
übernehmen." Das Bachelor-Studium sei viel zu verschult, die Stärkung
problemorientierten und eigenverantwortlichen Handelns komme zu kurz.
"Die jungen Menschen bekommen einen extremen Praxisschock."
Quelle: Kölner Rundschau vom 15.08.2012
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