Freitag, 22. Juni 2012

Jeder Vierte bricht sein Studium ab

Noch fünf Klausuren hätten gefehlt, dann hätte Sven Lang seinen Bachelorabschluss in Wirtschaftsinformatik in der Tasche gehabt. Doch eine Physikprüfung machte ihm einen Strich durch die Rechnung: Als er zum dritten Mal durchfiel, wurde er exmatrikuliert. Zu diesem Zeitpunkt war Lang 27 Jahre alt und hatte vier Jahre Studium an der Fachhochschule Südwestfalen hinter sich.
Lang sah sich nach Alternativen um. Infrage gekommen wären zum Beispiel ein Fach- oder Hochschulwechsel in ein anderes Bundesland. In Nordrhein-Westfalen darf Lang keine Wirtschaftsinformatik mehr studieren. Da ihm andernorts jedoch nur wenige seiner Studienleistungen anerkannt worden wären, hätte er ein neues Studium höchstens um ein Jahr verkürzen können. Auch eine normale Berufsausbildung hätte bedeutet, dass er noch einmal drei weitere Jahre bis zur Berufstätigkeit gebraucht hätte.
Ein Bekannter erzählte ihm dann von einem Modellprojekt in Aachen, das den Namen "Switch" trägt. Es ermöglicht Studienabbrechern aus den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), die mindestens zwei Semester studiert und 20 Credit Points gesammelt haben, sich in eineinhalb Jahren zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung ausbilden zu lassen. Mittlerweile sind 60 Unternehmen an dem Projekt beteiligt. Diesen Sommer kommen die Ausbildungsgänge Fachinformatiker für Systemintegration und Industriekaufmann hinzu.
Die Studienabbruchquote in Deutschland liegt bei 23 Prozent im Diplomstudium und 28 Prozent im Bachelorstudium, wie eine aktuelle Studie der HIS-Hochschul-Informations-Systems GmbH zeigt. Manche Studenten werden wie Lang aufgrund nicht bestandener Prüfungen exmatrikuliert, andere entscheiden sich freiwillig für einen Abbruch.
Berufsberaterin Julia Funke aus Frankfurt am Main erhält pro Woche zwei bis drei Beratungsanfragen von Studenten, die mit dem Gedanken spielen, ihr Studium abzubrechen. Häufig haben diese nach der Schule wenig Anleitung bei ihrer Entscheidungsfindung gehabt und sich unter ihrem Fach etwas anderes vorgestellt. Doch wann sollte man abbrechen und wann sollte man die Entscheidung noch einmal überdenken? "Es kommt immer darauf an, welche Gründe dahinter stecken. Manchmal hapert es auch an der richtigen Organisation des Studiums", sagt Matthias Trüper, Gründer der Berliner Studienberatung Campusmondi. Wem es gelingt, diese zu verbessern, der muss sein Studium nicht gleich an den Nagel hängen.
Wer sich jedoch zum Studieren zwingen muss und das Studium als Qual empfindet, sollte sich trauen, einen Abbruch in Erwägung zu ziehen. "Viele Studenten, auf die das zutrifft, sind ehrgeizig. Es scheitert nicht an den intellektuellen Anforderungen. Aber sie haben überhaupt keinen Spaß an ihrem Studium", sagt Berufsberaterin Funke. Nicht selten stehen diese sogar kurz vor dem Abschluss. "Ich versuche dann zunächst, abzuklären, ob der Grund dafür die Angst vor der eigenen Courage ist." Manch einer fürchte sich einfach vor dem nächsten Schritt.
Wieder andere mögen zwar ihr Fach gerne, haben aber im Laufe ihres Studiums keinerlei Ideen entwickelt, was sie später beruflich damit anfangen könnten. Oft gewinnen diese Studenten neue Motivation, wenn ihnen Optionen aufgezeigt werden, was sie mit dem Studium machen können.
Doch nicht immer ist das möglich. "In jedem Fall versuche ich, den Studenten die Angst vor der Lücke im Lebenslauf zu nehmen oder davor, dass sie bereits zu alt für eine Umorientierung sind", sagt die Beraterin. Studienberater Trüper rät, mit einem Wechsel ganz offensiv umzugehen. "Schließlich ist es eine Stärke, einen Fehler erkennen und darauf reagieren zu können. Jemand, der über diese Fähigkeit verfügt, ist für manchen Personalchef viel interessanter, als jemand mit einem glatten Lebenslauf."
Schwieriger wird es, wenn jemand auch im zweiten Anlauf merkt: Dieses Studium ist nichts für mich. "Wer frisch von der Schule kommt und blind an die Uni läuft, kann sich umorientieren. Dieser zweite Ansatz sollte dann aber sitzen." Wer mehrfach wechselt, sollte sich spätestens nach dem zweiten Mal fragen, ob es vielleicht nicht nur am Fach, sondern auch an den Anforderungen eines Studiums allgemein liegt.
Quelle: Kölner Rundschau vom 22.06.2012

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